EuroGames Kopenhagen 2021 - Turniertag 2
Nachdem gestern viel zu schreiben war über das Drumherum der EuroGames 2021, soll am zweiten Turniertag der Sport an sich - und etwas Sportpolitik - im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen. Nicht nur, weil das Geschehen am Rande sich auf einem wohltuend "normalen" Stand eingepegelt hat, sondern weil sich das, was sich dort heute in den A-Finals der Hauptgruppenturniere zugetragen hat, von selbst aufdrängt. Denn hier hat sich durchaus Historisches ereignet.
Beginnen wir mit der traditionellen Vorzeigesektion des DVET, dem Standardtanzen der Frauen. Immer mal wieder standen die deutschen Standardtänzerinnen kurz davor, bei einer internationalen Meisterschaft im A-Finale unter sich zu sein, und auch heute wurde das nur durch das mittanzende B-Klassen-Siegerpaar aus der Schweiz verhindert. Die Frage war letztendlich nur, wie die vier deutschen Frauenpaare die Medaillen unter sich aufteilen würden. Spannung um Platz 3 war dabei zu erwarten. Dass es zusätzlich auch noch Spannung um Platz 1 gab, machte die Sache nochmal interessanter. Was hätte das Publikum doch in diesem Moment für eine offene Wertung dieses Finals gegeben. Aber das war noch nie wirklich üblich bei internationalen Equality-Meisterschaften. So hieß es denn relativ lange auf das Ergebnis zu warten. Es brachte den undankbaren Platz 4 für die alten und neuen 10-Tänze-Europameisterinnen Miriam Meister und Angela Pikarski aus Köln und die Bronzemedaille für die Berlinerinnen Tania und Ines Dimitrova, die dadurch einen möglichen "podium sweep" für Nordrhein-Westfalen verhinderten. Dann geschah etwas, was nur langjährige Begleiter*innen des gleichgeschlechtlichen Tanzsports noch in dunkler Erinnerung haben können, nämlich die Verkündung eines 2. Platzes für die mehrfachen Welt- und Europameisterinnen Caroline Privou und Petra Zimmermann. Nicht alle ihre Siege der Vergangenheit waren outstanding. So erinnere ich mich z.B. an ein sehr enges EM-Finale 2015 in Stockholm. Aber bis jetzt hatte Paragraf 3 des Kölschen Grundgesetztes "Et hätt noch immer jot jejange!" noch stets Bestand gehabt. Nun ist der Nimbus dahin, aber Caroline und Petra mögen sich darum nicht allzu sehr grämen, denn sie haben absolut kein schwaches Turnier gezeigt. Überhaupt kann man sagen, dass bei den Standardfrauen wenig zu sehen war von pandemiebedingten Leistungsrückstand. Andere waren heute halt einen Tick besser, in diesem Fall die zweifachen Deutschen Vizemeisterinnen Julia Janssen und Angelika Thumm aus Aachen, denen schon manch einer ein großes Potenzial und eine goldene Equalityzukunft bescheinigt hatte, während andere sie bereits in die Kiste mit der Aufschrift "uneingelöste Versprechen" gesteckt hatten. Oder gleich in die Ecke "Equality-Gelegenheitspaar". Heute nun also der große Coup. Und wenn ich es richtig in Erinnerung habe, dann ist heute zum allersten Mal, seit bei EuroGames Tanzsport stattfindet, der Sieg bei den Standardfrauen nicht nach Köln gegangen. Auch dies eine Serie, die heute zu Ende gegangen ist. Mindestens bis zum Juli 2022 steht dieser virtuelle Pokal nun etwas weiter westlich in Aachen.
Historisches auch bei den Lateinmännern, aber ganz anders. Die Fluktuation unter den Spitzenpaaren ist hier stets größer. Wenn bei einer Equality-WM, -EM o.ä. einmal keine Medaillengewinner des Vorjahres gemeldet sind, dann bedeutet das relativ wenig, denn es tauchen dafür immer wieder neue gute Paare auf, die dann leider auch oft schnell wieder verschwinden oder sich trennen und neu formieren. Vereinzelt gibt es dazu auch noch überraschende Comebacks - selten mit gutem Ausgang. Auch heute war die Ausgangslage - bei insgesamt natürlich niedriger Meldezahl - wieder bunt. Equality-Neulinge stritten mit neu formierten und altbekannten Paaren um die EM-Medaillen. Und wieder fehlte (pandemiebedingt?) ein russisches Paar aus der Startliste, das Mitfavorit gewesen wäre. Mittendrin ein Paar mit einer ganz besonderen tänzerischen Vorgeschichte. Gilles Hoxer und Esben Weiergang aus der Gastgeberstadt Kopenhagen haben über viele Jahre das Geschehen in der Sektion Männer Latein mitgeprägt. Immer mal wieder kurz vor einem Titel stehend, kam dann aber stets irgendetwas dazwischen. Verletzung, Trennung, schwere Krankheit, oder, wie bei der EM 2017, einfach ein neu formiertes Konkurrenzpaar, das vorher keiner auf dem Schirm hatte. Dass diese, eher tragisch anmutende Vorgeschichte nun heute mit dem EM-Titel 2021 doch noch ein goldenes und gutes Ende gefunden hat, berührte nicht nur die mehrheitlich dänische Zuschauerschaft in der Halle, sondern auch langjährige ausländische Begleiter der Turnierszene. Das Nachsehen hatten infolgedessen heute die neuen, die neu formierten und die Allroundpaare. Während die französisch-norwegische Kombintion Julian Aelterman und Vidar David Syvertsen seiner Silbermedaille relativ wenig abgewinnen konnte, gab es unter den deutschen Männern gleich doppelt bzw. vierfach Freude. Ob man in Dänemark die berüchtigte "Rule 11" nicht kennt, nicht anwendet oder diese nicht hinreichend war, weiß ich nicht. Tatsache ist jedoch, dass der 3. Platz geteilt wurde und vier EM-Bronzemedaillen vergeben wurden. Vier deutsche EuroGames-Medaillen bei den Lateinmännern … mir fällt da 2001 (EuroGames Hannover) ein. Vielleicht auch später noch einmal. Auf alle Fälle ist es sehr lange her. Freuen dürfen sich darüber zum einen Markus Ehlert und Christoph Wallner und zum anderen Michael Bartsch und Andy Jekel. Zwei Paare, die wir hoffentlich bei zukünftigen Turnieren in dieser Kombination wiedersehen werden, auf dass es im Bereich Männer Latein in Deutschland in Zukunft auch mal wieder "eine Breite in der Spitze" geben möge.
Nicht unerwähnt bleiben darf nun noch, dass Thomas Bensch und Simone Biagini ihrem EuroGames-Sieg über 10 Tänze der Senioren heute noch den in der Lateinsektion der Senioren hinzugefügt haben. Dass sie damit nun zweifache EuroGames-Sieger 2021, aber weiterhin "nur" einfache Europameister 2021 sind, mag Laien wie Experten überraschen. Recherchen haben ergeben, dass die ESSDA heimlich still und leise beschlossen hat, die seit 2016 geltende Regel, nach der stets das beste europäische Paar einer Sektion unabhängig von der Startklasse zu Europameister*innen zu küren ist, ausgesetzt hat. In Kopenhagen darf in den Spezialsektionen nur Europameister*in werden, wer auch in die A-Klasse gesichtet wurde. Der Hintergrund ist klar, und im Grunde auch nachzuvollziehen. Es war dermaßen unklar, wer sich für Kopenhagen 2021 anmelden würde, dass in der Tat latent die Gefahr im Raum stand, dass C-Paare zu Europameister*innen gekürt werden könnten. Was die Titel von Kopenhagen allgemein entwertet hätte. Allein ..., hätte die ESSDA das nicht den Paaren und den Verbänden vorab mitteilen können? Oder der Ausrichter vorab auf diese pandemisch bedingte Ausnahme hinweisen können oder müssen? So hat das Ganze wieder ein unnötiges Geschmäckle.
Vom zweiten Turniertag der EuroGames 2021 bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass es zwei bewegende Hauptgruppenentscheidungen mitsamt großartigen fünf Medaillen für deutsche Paare gab und nebenbei den offensichtlich unvermeidlichen ESSDA-bedingten Nebenschauplatzstress, aus dem sich nun auch die Formulierung ergibt, dass es morgen am letzten Turniertag WAHRSCHEINLICH noch zwei weitere EM-Entscheidungen geben wird. Ganz sicher sagen wird man das erst nach den Sichtungsrunden.
In diesem Sinne: Gute Nacht, Deutschland!
Text: Thorsten Reulen